Ja, wir haben es geahnt, auch diese
Geschichte würde einmal ans Tageslicht kommen, eher sogar, als es
uns allen lieb sein kann, denn als Carolin, die junge Frau von Henning,
eines verbotenen Tages im Schloss umherflaniert, entgeht auch ihr die Inschrift
in dem Fenster über der Gruft in der Schlosskappelle nicht, und prompt
will sie mit allen Schlossbewohnern darüber REDEN. Aber keiner kann
sie VERSTEHEN, auch hat keiner ZEIT und will Carolin HELFEN, bis sie eines
Tages den Schlossherren doch noch überzeugen kann, dass auch sie als
Hennings Ehefrau ein Recht darauf hat, zu erfahren, was dereinst auf dem
Schloss geschehen ist !
Nutzen auch wir also diese seltene
Gelegenheit, und hören, wie Christoph von Anstetten daselbst berichtet
:
"Ja, es gibt auf Friedenau - wie
auf den meisten alten Schlössern - nicht nur gute Geister, wie unsere
liebe Christiane, sondern auch weniger gute, um nicht zu sagen, böse
Geister. Und daran werden wir jedesmal zu Vollmond erinnert, wenn zur Mitternacht
auf dem Fußboden des Arbeitszimmers 3 uralte und schon verblaßte
Blutflecken hell und grausam aufleuchten und uns ein gruseliger Spuk erschauern
lässt. Aber der Reihe nach:
Über Graf Nostradamus Anselm
Bartholomaeus Isidor von Anstetten zu Düsseldorf und Colonia, genannt
"Barthl", geboren 1189 im Jahre des Kreuzzuges Friedrich Barbarossas, wird
in unserer sonst so verständnisvollen und vorurteilsfreien Familie
nicht so gerne gesprochen. Vielmehr : eigentlich wird er seit den grauenvollen
Ereignissen des Jahres 1221 totgeschwiegen, damals wurde auch sein Bild
aus der Ahnengalerie entfernt und es war bis vor kurzer Zeit verschollen.
Bartholomaeus von Anstetten
Barthl war der uneheliche Sohn von
Graf Christoph Quesimir dem 2. von Anstetten zu Friedenau und der, so erzählt
man sich, intriganten Kammerzofe Clara Isolde "der Schwarzhaarigen". Wobei
die genaue Vaterschaft bis heute nicht geklärt ist, aber um einen
Skandal zu vermeiden, hat Quesimir den Barthl schließlich gleich
nach der Geburt adoptiert, die Clara aber wurde von Quesimirs Gemahlin
Gräfin Barbarella der Weinerlichen vom Schloß verstoßen.
Barthl entwickelte sich - wie sein
älterer Bruder Hinnerk - zu einem prächtigen jungen Ritter, noch
heute dürfen wir im Rittersaal von Schloß Friedenau seinen edlen
Harnisch "Trutzung", sein Schwert "Balmung" und sein Schild "Hau´
ich Dich nicht, haust Du mich" bewundern - und alle Jungfrauen schwärmten
von ihm, wenn er bei Turnieren oder Ritterspielen mit wallendem blonden
Haar vorbeiritt. Trotzdem hielt er sich bei den Frauen stets bedeckt, hatte
er doch ein Keuschheitsgelübde abgelegt, und nur Freifrau Isabelladora,
die Schwester der mit Hinnerk verehelichten Carolina, konnte ab und zu
in sein Herz sehen.
Seinerzeit ebenso bekannt wie Barthls
edler Waffenrock war seine blutrote mit acht schweren Rössern bespannte
Kutsche, ein Produkt aus einer weltbekannten amerikanischen Kutschenfabrik
mit Zweigwerk in Köln, die wegen der rückläufigen Absatzzahlen
der einfachen Kutschen Modell Capri, Fiesta und Mondeo mit solcherley Dingen
in den Markt der Luxuskutschen einzubrechen versuchte, und es war eine
Pracht, wenn Bartholomaeus in dieser Kutsche mit geöffnetem Verdeck
die Düsseldorfer Kö enlangflanierte. Leider kann die Kutsche
heute nicht mehr bewundert werden, da die acht Rösser nicht nur viel
zu gefrässig waren und schon nach kurzer Zeit lahmten, ebenso der
Austausch der Rösser durch originale Werksaustauschrösser keine
wesentliche Besserung brachte, sondern weil zudem die restliche Kutsche
bald nach Ablauf der Garantie an starken Korrosionsproblemen litt, sodass
sie von Barthl schweren Herzens an Danielus, einen jungen technisch begabten
Gaukler, verkauft wurde.
Bartholomaeus war sehr belesen und
studierte nicht nur Physik und Chemie, sondern auch Metaphysik und Alchemie
und wäre wohl ein würdiger Stammhalter geworden, wenn, ja, wenn
ihm nicht ein unbarmherziges Schicksal einen gehörigen Strich durch
die Rechnung gemacht hätte:
Zu jener Zeit fanden auf Friedenau
des öfteren rauschende Feste statt, und zu Trinitatis 1221 sollte
Barthls Vermählung mit der lieblichen Isabelladora von Mooringen in
einer glamourösen Ballnacht gebührend gefeiert werden.
Wobei
die Festlichkeiten auf dem gräflichen Stammschloss nicht nur deswegen
vielgerühmt waren, weil zu solchen Anlässen viel geREDET, geHOLFEN,
VERSTANDEN und ZEIT gegeben wurde, und weil normalerweise keiner irgendwen
jemals fragte, ob er / sie m oder w und wie alt ist sondern vor allem deswegen,
weil es sich Ihre Durchlaucht der Graf niemals nienicht nehmen liess, von
seiner Schlossküche und seiner DienerInnenschaft ein wahrhaft fürstliches
Festbuffet auftischen zu lassen und daselbst die edelsten Tropfen aus seinem
weithin geschätzten Weinkeller der rauschenden Gesellschaft zu kredenzen.
Und so trafen sich zu diesem Anlass
alleInnen, die in Düsseldorf oder Köln Rang und / oder Namen
hatten : Wir sehen Prinz Jan II und Prinzessin Julia die Liebliche,
seine Stiefschwester Katharina mit ihrem Gemahl, dem wackeren Recken Heinowulf,
der übrigens später mit einer selbstgebauten Flugmaschine tragisch
verunglückte, Arno den Löwen, Erika vom Sande, Freifrau Susanne
von Koppenstedt, Charline die Blondhäuptige, die tapferen Ritter Dennis
den Unerschrockenen, Ullrich den Zauderer, dem nachgesagt wurde, er triebe
zu Neujahr oft Verbotenes mit einem Jüngling, Christian ohne Bart
und Nikodemus den Einsiedler, die Jungfrauen Anna van Konrad op de Dieck,
Jackqueline von Lamerstein und Bastiane von Dannenberg, die nicht mehr
ganz so jungfräuliche Gabriella Ramona zu Poppenfels, den Freidenker
Florian, Milena die Barmherzige, die Comtesse Sophia von Levenstedt, Lawrence
von Arabien, Conny Kramer, den bürgerlichen Kaufmann Peter von Köln,
die Ratsfrau Elsbetha ob der Ryan, den Ritter Mark und natürlich den
Geistlichen Abt Tilman IV.
Aber auch diverse Gaukler befanden
sich im Schloss, als da zu nennen wären die Zauberin Nina, den Taschenspieler
Philipp der Zahnlose, Minnesänger wie Francesco de Lewinski und fliegende
Händler wie Ramonsolano der Lockenhäuptige, welcher allerley
Kostbarkeiten aus dem fernen Venezuela feilbot.
Und letztendlich gelang es auch
Clara Isolde, welche immer noch wütend über die ihr von Barbarella
angetane Schmach war, sich heimlich unter die Gäste zu mischen.
Gegen Mitternacht, nachdem sich
entgegen jeder ehrwürdigen Tradition doch alle gegenseitig gefragt
hatten, wie alt sie sind, ob sie m / w sind und woher sie kommen, was schon
als böses Omen hätte gewertet werden müssen, und kurz vor
dem als Höhepunkt der Festlichkeiten vorgesehenen Austausch der Eheringe,
hörte Barthl einen gellenden Schrei und stürzte sofort vom Bankett
ins Arbeitszimmer. Dort sah er, wie Clara, von der er nicht wußte,
das sie seine Mutter war, mit einem Dolch über der anscheinend wieder
einmal bewußtlosen Barbarella kniete und ihr gerade den Gnadenstoß
versetzen wollte. Er entriß einer ebenso herbeigeeilten Schloßwache
eine geladene Muskete, zielte kurz, torkelte und drückte ab. KRAAAARUUUMMMSSS
! Im selben Moment jedoch wuchtete Clara die
bewußtlose Barbarella hoch und der Schuß traf letztere, die
dadurch nicht einmal am Rande bemerken konnte, das sie soeben vom prallen
Leben ins triste Jenseits befördert wurde.
Der Raum war erfüllt vom grauen
Pulverdampf . . .
Voller Zorn und Trauer riß
Barthl den über dem Kamin hängenden Zweihänder, sein berühmtes
glänzendes Schwert "Balmung", mit dem schon sein Vater unter Friedrich
Barbarossa im Heiligen Land gekämpft hatte, von der Wand und enthauptete
mit einem einzigen Schlag die meuchlerische Clara. Deren Kopf landete auf
dem gräflichen Schreibtisch, der seither keinen Millimeter bewegt
werden durfte, und mit scheidender Stimme sagte die Entmenschte : "Mein
einziger Sohn, der Du mich zu Vermögen, Prunk und vor allem zum Adelstitel
bringen solltest, Du hast soeben mich, Deine Mutter, umgebracht. Sei dafür
verflucht bis in die fernsten Tage." Und danach schwieg sie . . . für
immer.
Da erkannte Barthl mit Entsetzten
im bleichen Antlitz der soeben Gelynchten seine eigenen Gesichtszüge,
richtete sich auf und im Scham über das von ihm daselbst begangene
Unrecht Balmung, das Schwert, gegen sich, sang ein letztes heldenhaftes
"Wo Du nicht sein, kann ich nicht bist", durchbohrte seine Brust mit einem
einzigen scharfen Stoss und sank sterbend zu Boden. Im Hintergrund hören
wir derweil einen gewaltigen Männerchor, einhundertfünfzig singende
Kerls mit "er stirbt gleich, er ist gleich tot . . ." - und keiner holte
einen Arzt !
Seine Braut Isabelladora aber wurde
angesichts der tragischen Ereignisse vom tristen Gram übermannt, und
es geht die Kunde, dass sie sich nur kurze Zeit später zur verbotenen
Stunde vom Burgfried in den moorigen Schlossteich stürzte und deswegen
bisher auch nicht ins Reich der Seeligen finden durfte ...
Tiefe Trauer war daraufhin im Schloß,
nur die treue Haushälterin Chrissi behielt einigermaßen Nerven
und Überblick und räumte erstmal auf, wobei sie jedoch die 3
Blutflecken am Schreibtisch auch mit dem besten Allzweckreiniger nicht
dauerhaft entfernen konnte.
Seitdem hat Barthl keine Ruhe mehr
gefunden und treibt sein gruseliges Unwesen auf Friedenau, manchmal auch
nachts im VL - Chat, und nur wenn ihn dereinst eine blonde Jungfrau zu
Mitternacht bei Vollmond küssen und mit ihm ob seiner Sünden
weinen würde, könnte dem grausigen Spuk ein Ende bereitet werden.
Aber wo gibt es heute schon noch holde blonde Jungfrauen, außer Christiane
vielleicht, nur, die ist auf Barthl nicht sehr gut zu sprechen, muß
sich ihre Sippe doch schon seit Generationen schämen, daß sie
die Blutflecken im Arbeitszimmer nicht wegkriegt . . ."
|